Von 1972 bis heute
Im Sommer 1972 gründete eine Gruppe junger Leipziger Künstler innerhalb des Künstlerverbandes eine Arbeitsgruppe. Ihr gehörten Arno Rink, Werner Hennig, Günter Glombitza, Egbert Herfurth, Bernd Hertel, Rolf Münzner, Günter Richter, Peter Sylvester und Peter Schnürpel an. Man wollte dem spärlichen und darüberhinaus vom Staat kontrollierten Kunsthandel einen Kunstmarkt entgegenstellen, der allein von den Künstlern selbst organisiert werden sollte. Das stieß auch beim Rat der Stadt auf Verständnis: den Künstlern wurde die Alte Handelsbörse am Naschmarkt als Ausstellungsort zur Verfügung gestellt, und am 3. November 1972 konnte die erste Leipziger Grafikbörse eröffnet werden. Sie war als eine Art Grafikmarkt angelegt. Alle Mitglieder des Künstlerverbandes konnten mit Arbeiten eigener Auswahl teilnehmen, Juryfreiheit wurde zum bestimmenden Merkmal. Künstler organisierten für Künstler eine Möglichkeit zur Bekanntmachung ihrer Werke und zum Erwerb originaler Druckgrafik. Das war in der DDR einzigartig. Der Ausstellungsort Alte Handelsbörse wurde namensgebend für die Leipziger Grafikbörse, übertragen wie wörtlich, denn bis 1990 waren die Veranstaltungen zugleich Begegnungsmöglichkeit und Grafikmarkt. Die Alte Handelsbörse am Naschmarkt bildete insgesamt zwanzig Mal den repräsentativen Rahmen
Wurden anfangs die Grafiken noch auf „Wühltischen“ präsentiert, so gab es bald Glasabdeckungen, später Stellwandsysteme und Rahmungen. Sämtliche Werke konnten sofort erworben werden, die meisten standen in mehreren Exemplaren zur Verfügung. 1972 boten 61 Künstler nahezu 800 Arbeiten an, ein Jahr danach waren es fast 900 Werke von 53 Künstlern. Von der 1. bis zur 5. Grafikbörse schlossen die dreitägigen Veranstaltungen jeweils mit einer Auktion, der zur 10. Börse 1982 und später weitere folgten. Auktionserlöse wurden z.B. der Kinderhilfsorganisation Unicef gespendet.
Seit 1977 waren Künstler aus osteuropäischen Partnerstädten Leipzigs Gäste der Grafikbörsen, zuerst aus Krakau, später auch aus Pecs und Plovdiv. Bereits 1975 wurde die Stadt Leipzig Mitveranstalter, stellte die Räume zur Verfügung und übernahm sämtliche Kosten. Von der 7. Grafikbörse von 1978 an gehörten auch Künstler aus Berlin, Dresden, Karl-Marx-Stadt oder Erfurt zu den Teilnehmern, darunter u.a. Manfred Butzmann, Lutz Friedel, Michael Morgner oder Alfred T. Mörstedt.
Zu den Besonderheiten zählte das Angebot orginalgrafischer Plakate, realisiert als Hoch- oder Steindrucke, vielfach als Offsetlithografien und im Siebdruckverfahren. Sie waren bei Grafikfreunden beliebt und erschienen in Auflagen von 30 Exemplaren zum Preis von 30 Mark. Zeitweilig erschienen auch Sondereditionen wie Postkarten oder Kalender. Gleichzeitig zur Grafikbörse wurden von 1984 bis 1991 Sonderausstellungen in der Galerie WORT UND WERK am Leipziger Markt veranstaltet, vorzugsweise waren Handzeichnungen zu sehen.
Ein Neuanfang war mit der 16. Grafikbörse zu verzeichnen. Sie fand im Dezember 1989 statt und war dadurch gekennzeichnet, daß die Teilnehmer namentlich eingeladen wurden und zwar erstmals aus ganz Deutschland. Ein Prinzip, das unverändert besteht. Ferner erschienen von da an zu jeder Börse ein Katalog. Zuvor war lediglich anläßlich der 10. Börse 1982 eine Dokumentation über das erste Jahrzehnt erschienen und wurden 1987 ein Katalog der Auktionsarbeiten zur 15. Börse und 1990 ein Katalog zur Ausstellung in Trento/Rovereto herausgegeben. In vierzig Jahren sind bisher insgesamt 18 Kataloge erschienen.
1991 gründete sich die Leipziger Grafikbörse neu als eingetragener Verein und alleiniger eigenverantwortlicher Veranstalter. Gleichzeitig übernahm Peter Sylvester ihren Vorsitz und führte sie bis 2007. Zu Sylvesters bedeutendsten -Leistungen gehört die Gewinnung neuer Förderer und die Aufnahme internationaler Kontakte, u.a. zu internationalen Künstlern, die als „L`Atelier Torben Bo Halbirk“ in der „Cité international des arts“ in Paris arbeiten und gemeinsam eine Werkstatt unterhalten oder zu belgischen Künstlern über den Grafiker Emil Hoorne. Aus einem jährlichen Gra-fikangebot wurden Kollektionen vom Charakter einer Kunstausstellung.
An die Stelle verläßlicher Finanzierung trat das ständige Bemühen, Förderer der öffentlichen Hand zu gewinnen, um weiterhin aktuelle Druckgrafik nationaler wie internationaler Künstler präsentieren zu können, denn eine Finanzierung der Projekte allein durch Mitgliedsbeiträge und Spenden der Künstler ist nicht möglich. Das Kulturamt der Stadt Leipzig erweist sich bis heute als ständiger Partner. Die langjährige kontinuierliche Förderung durch Sparkasse und Freistaat Sachsen erfolgte allerdings nur noch sporadisch, bis sie gänzlich einschlief. Generell ist das letzte Jahrzehnt eine Zeit des ständigen Wechsels der Ausstellungslokale, da es in Leipzig keinen Ort gibt, der verläßlich den Kunstvereinen zur Nutzung zur Verfügung steht, unter Bedingungen, die ihre finanziellen Möglichkeiten berücksichtigen. So wuchs mit jedem Jahr die Sorge, einen angemessenen Ausstellungsraum nach Größe und Kosten zu finden. Es begann ein Wanderausstellungsbetrieb, die Suche nach sanierten, aber ungenutzten Räumen. Interessierte Besucher waren zu stets neuer Orientierung gezwungen, zumal sich gelegentlich die Ausstellungsräume nur schwer finden ließen.
Aufmerksamkeit fanden die Kollektionen der Leipziger Grafikbörse auch überregional, so durch wiederholte Präsentationen im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg in den Jahren 1996, 1997 und 2003, in den Räumen des Kunstvereins Coburg 1999, 2000, 2004 und 2008. Beachtenswert war auch die Ausstellung 2011 im Kunstverein Borken.
Internationale Höhepunkte waren Ausstellungen 1990 in Trento und Rovereto/Italien, 2001 im Kulturzentrum De Kriekelaar in Brüssel, gepaart mit Sonderausstellungen in weiteren Objekten und der Gegenaustellung flämischer Künstler unter dem Titel „Wendungen und Wandlungen“ im selben Jahr in der Alten Handelsbörse Leipzig oder 2007 in der „Cité international des Arts“ in Paris. Kontinuierlich konnten seit 2000 Kollektionen der Leipziger Grafikbörse im Publikumsforum des Sächsischen Landtages Dresden vorgestellt werden.
Bis zum Jahre 2002 fand die Leipziger Grafikbörse jährlich statt, Ausnahmen waren die „börsenlosen“ Jahre 1981, 1988 und 1994. Ab 2002 wandelte sie sich zu einer Biennale und konnte nun durch mehrere Ausstellungen in diesem Zeitraum ihre Wirksamkeit auch außerhalb der Stadt Leipzig deutlich steigern.
Von der 22. Leipziger Grafikbörse 1996 bis zur 31. Leipziger Grafikbörse 2011 erfolgten die Einladungen zur Teilnahme unter einem Motto. Auf „schwarzweißschwarz“ 1996 folgte 1998 „e.a.“, zu „eingeschrieben“ wurde 1999 eingeladen. Im Jahre 2001 stand eine alt-japanische Erzählung, ein Lehrbuch der Fechtkunst unter dem Titel „Die wunderbare Kunst einer Katze“ Pate. Mit dem Zitat von Leo Tolstoi „Wieviel Erde braucht der Mensch?“ begann 2002 ein Zyklus zu den Elementen, fortgesetzt 2006 mit „Arche“, dann 2008 „Spiel mit dem Feuer“ und abschließend 2011 „Luft – Druck“. Dazwischen waren 2004 Überlegungen zu „Zeit – Druck“ Gegenstand grafischer Arbeiten. Diese themengebundenen Einladungen ermunterten zahlreiche Künstler zur Schaffung neuer Werke und förderten Überlegungen zu bildhafter Lösung nachgerade philosophischen und exis-tentiell menschlichen Fragen.